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Interfering void - Andy Graydon, Albert Sackl
November 13 – Februar 14

Text | engl. | Abbildungen



Künstler: Andy Graydon Albert Sackl

Die Ausstellung interfering void stellt zwei zeitbasierte künstlerische Praktiken gegenüber, die den Bild- und Wahrnehmungsgegenständen einen prekären Status verleihen. Im 16-mm-Film Im Freien von Albert Sackl und der Installation The Findings von Andy Graydon ist der Wahrnehmungsgegenstand, oder anders formuliert, das sich filmisch und audiovisuell konstituierende Wahrnehmungsobjekt, per se instabil und flüchtig. Der Betrachter sieht sich mit einer Ästhetik des stetigen Wandels, aber auch des Entzugs und Schwindens konfrontiert. Wie lässt sich der ontologische Status des Bild-/Anschauungsobjekts, des im Narrativ entfalteten Gegenstands beschreiben und wie sieht sein Verhältnis zur „Wirklichkeit“ aus, bildet diese doch, so vermutet man wenigstens auf den ersten Blick, den Ausgangspunkt der Darstellung.

Der Topos der Landschaft bildet eine deutliche ästhetische Gemeinsamkeit der Arbeiten von Sackl und Graydon. Landschaft  fungiert vordergründig als Chiffre für Natürliches, für vom Menschen unabhängige Gegebenheit, die diesem gegenübersteht und entgegenwirkt. Während Sackl sie als geradezu ursprüngliches Agens, als unbeherrschbare Gewalt verbildlicht und inszeniert, bildet Landschaft, genauer: der Wald, bei Graydon eine kollektiv aufgeladene Projektionsfläche, der auch stets eine Dimension des Unbestimmten und Unheimlichen inhärent ist. In beiden ästhetischen Praktiken erscheint Landschaft exemplarisch, modellhaft, sie lässt sich bei Sackl und Graydon jedoch nicht als naturale Gegebenheit und äußerer Abbildungsgegenstand verdinglichen, sondern konstituiert, formt und wandelt sich im ästhetischen Verlauf: Während sich Landschaft bei Sackl aus der Synthese von filmischen Einzelbildern und deren Lücken zu einem Bildraum visueller Brüche und Kontraste verdichtet, entfaltet sie sich bei Graydon entlang dem Narrativ als rein imaginäre Größe, als imaginäre Bildräumlichkeit. Landschaft bildet in beiden Arbeiten den Erscheinungsgrund, der die instabilen und prekären Wahrnehmungsobjekte nicht bloß im Sinne eines Hintergrundes kontrastiert oder lesbar macht, sondern diese wesentlich überformt oder gar mithervorbringt.

Andy Graydon hat während seines Aufenthalts als Gast des Residencyprogrammes von AIR-Krems im Sommer 2013 für den vorderen pavillonartigen Bereich der Galerie einen auditiven Raum, ein installativ inszeniertes Hörstück entwickelt, das dem Besucher eine Sprechstimme zu hören gibt, während in der Raummitte ein leeres Podest platziert ist, das zugleich auch als Sitzbank gelesen werden kann. Der Protagonist/Erzähler spricht von der Suche nach einem bestimmten Objekt in einem düster, gar unheimlich anmutenden Wald, das realiter jedoch stets unbenannt und unbestimmt bleibt. Er redet langsam und eindringlich, sodass der Prozess der Suche zunehmend selbst in den Vordergrund gerät. Der Erzähler scheint etwas verloren zu haben, kann den Gegenstand jedoch nicht treffend beschreiben, aber auch den Ort im Wald, an dem er meint, ihn zuletzt gesehen zu haben, nicht wiederfinden. Je mehr er versucht, dem Hörer das Objekt zu verdeutlichen, dieses sprachlich „zu finden“, versagt die Beschreibung und gerät ins Stocken. Der Gegenstand der Beschreibung scheint sich stetig zu verschieben und zu verändern. Beschreibung und Vorstellungsbild kommen auf diese Weise auch beim Betrachter stets nur kurzweilig und latent zur Deckung, um sich dann in weiteren imaginären Bildevokationen entlang der fortlaufenden Deskriptionsversuche fortzuschreiben.

The Findings handelt von der Dislozierung eines Objekts, dessen ontologischer Status uneindeutig und in Veränderung begriffen ist. Die Arbeit fragt nach dem Vermögen, mehr jedoch noch nach dem Unvermögen und den Unschärfen sprachlicher Signifikation; Beschreibung und Beschriebenes, Signifikant und Signifikat, scheinen hier einander mehr zu verfehlen als sich aufeinander zu beziehen. Der Prozess der Beschreibung ist nicht bloß von Abweichung und Divergenz bestimmt, vielmehr erscheint das Objekt von dieser permanenten semantischen Verschiebung geradezu in Szene gesetzt. Nicht das Objekt, sondern Differenz und Abweichung werden somit zum fokussierten Gegenstand der Arbeit. Vorstellungsform und Wahrnehmungsform nähern sich dabei auf paradoxe Weise an, ohne je in sichtbarer oder bestimmbarer Form zu münden. Der mentale Apparat des Betrachters/Hörers wird dabei zum Bilderwerfer, zum „Projektor“; Die Gerichtetheit der Vorstellung entfaltet einen Gegenstand imaginären Seins, ohne seiner habhaft werden zu können.

Graydons Installation stellt die Frage, wie das beschriebene Objekt aus der narrativen Synthese im „Auge“ des Betrachters entsteht, genauer: wie sich dieses als mentales Bild konstituiert, das dann wiederum auf die aktuale Wahrnehmung rückwirkt, indem es dem Sehen vor- bzw. eingelagert wird. In diesem Zusammenhang fungiert das Podest als Projektionsgrund eines imaginären Objekts, das der Betrachter in Resonanz zum unbestimmt bleibenden Gegenstand der Erzählung ersinnt.

Die Erzählung von The Findings koppelt zudem eine mnemische Dimension. Das Narrativ sucht auf affektive Weise beim Betrachter potentielle Bilder der Erinnerung zu evozieren, die Erzählung handelt  paradoxerweise jedoch von einem Gegenstand, den der Betrachter selbst nie gesehen hat. Die doppelte Absenz und Unbestimmtheit des Objekts wird dabei von der Flüchtigkeit und Immaterialität des auditiven Raums überhöht. Ton, Klang und Stimme, per se flüchtige mediale Phänomene, schaffen anwesende Abwesenheit. Der Betrachter/Hörer folgt dem Erzähler auf einer Suche, nicht wissend, ob die Signifikate, die der Erzähler zu schildern und benennen versucht, Spuren sind oder Fährten darstellen, ob sie auf Vergangenes oder Künftiges hindeuten. In der zeitlichen Engführung von Vergangenem und Künftigem löst sich jegliche Gewissheit der Wahrnehmung aber auch der Fokus des Wiedererkennens und -findens auf. Suchen und Finden, Wahrnehmung und Imagination bilden hier einen untrennbaren, reziproken Zusammenhang.

Albert Sackl konfrontiert den Betrachter in Im Freien mit einer Stop-Motion-Animation radikalster analoger Form. Über die Dauer von drei Monaten machte der Künstler mit einer 16-mm-Kamera im strikten Intervall von drei Minuten Einzelbildaufnahmen in der kargen unbewohnten Landschaft Islands. In der filmischen Reihung und Beschleunigung zu 24 Bildern pro Sekunde verdichtet sich die Einzelbildfolge zu einem 23-minütigen Film. Aufnahme- und Filmbildfolge sind dabei identisch, d.h. streng chronologisch und unumkehrbar, ohne dass Bilder ausgetauscht oder hinzugefügt wurden.

Das filmische Setting von Im Freien mutet geradezu exemplarisch an und wird von auf den ersten Blick einfachsten Elementen gebildet: Landschaft, Körper und Kubus werden als Repräsentation und Figuration einer Idee, als kulturelle Chiffre lesbar, so etwa Landschaft als Idee unberührter Natur, der Körper als Figuration des Subjekts, das Haus als Signifikant für Urbanität. Im Freien inszeniert, wenngleich der Film oftmals gar episch anmutet, keine piktoral repräsentierten Entitäten – der Landschaft, des Körpers – sondern handelt von der Divergenz, dem Zerfall, der Dekomposition ihrer filmischen Erscheinung. Das Bild der „einen“ Person, realiter des Künstlers selbst, vermag sich beispielsweise wie selbstverständlich zu verdoppeln, zu zerteilen, sich zu spiegeln. Vorder- und Hintergrund, Links und Rechts aber auch Oben und Unten scheinen in diesem Bildgeschehen als räumliche Koordinaten ausgehebelt, wenn nicht gar als obsolet; Der filmisch konstituierte Raum Sackls folgt eigenen, nonlinearen und nonkausalen „Gesetzen“. Das Vexieren von Hell und Dunkel evoziert zudem einen geradezu halluzinatorischen Raum, in dem die Bildelemente als dissoziierte und akzidentielle Phänomene erscheinen, die zwischen visueller Latenz und Absenz changieren. Das „Objekt“ ist hier sowohl produktions- als auch rezeptionsästhetisch ein Zusammengesetztes, das die kognitive Syntheseleistung des Betrachters adressiert, keinesfalls mehr ist es als analog-indexikalische Spur zu lesen oder zu verdinglichen.

Das Bildstakkato in Im Freien setzt den Betrachter einer stroboskopartigen Wirkung aus. Dem gesehenen Laufbild ist dabei ein avisueller Film inhärent, der sich aus den Intervallräumen zwischen den Aufnahmen konstituiert. Diese „Lücken“ piktoraler Aufzeichnung und Repräsentation schreiben sich als Bewegungsbrüche, als harte Schnitte oder plötzliches Umschlagen von Kontrasten ins Bildgeschehen ein. Dem Betrachter wird unablässig Aufmerksamkeit abverlangt, um aus dem Kontinuum der Brüche Kohärenz zu erzeugen. Wahrnehmen ist hier nicht eine Form des Erkennens oder Wiedererkennens, sondern ein Prozess der Ergänzung und der ästhetischen, mehr noch: diegetischen Synthese. Das Filmbild eröffnet ein Feld perzeptiv-projektiver Aktivität, in dem apparatives und mentales System untrennbar aufeinander bezogen scheinen.

Im Freien reizt die Grenzen der Wahrnehmung aus. Sackl konfrontiert den Betrachter mit den Trägheiten retinaler Perzeption, den konstitutiven Grenzen der optischen Wahrnehmung, und verweist damit auf die Grammatik filmischer Wahrnehmung selbst. Der Künstler zeigt Im Freien im Kontext der Ausstellung interfering void als Installation „objekthaften“ Feedbacks: Elemente des Films werden nicht nur ins ausstellerische Setting integriert, das installative Dispositiv wird schlicht zur Gänze aus Gegenständen des Films gebildet. Die filmisch synthetisierten Objekte bilden eine Rückkoppelung mit dem Realraum der ausstellerischen Inszenierung. So betrachtet verweist Sackls Film auf das reziproke Verhältnis von Kamera, Bild, Blick und Bildgegenstand, nimmt aber zugleich wesentlich die Bedeutung des Dispositivs auf die aktuale, situativ-räumliche Wahrnehmung in den Blick.

Den Arbeiten von Albert Sackl und Andy Graydon ist stets ein Moment ästhetischer Absenz inhärent; Leerstellen, Lücken und Auslassungen sind für die ästhetische Syntax der Arbeiten geradezu bestimmend. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, jene ästhetischen Lücken nur als referentielle Leerstellen, als Bruchstellen des Abbildverhältnisses zur Wirklichkeit zu begreifen. In beiden Positionen verbleibt der Darstellungsgegenstand ästhetisch uneindeutig, semantisch unscharf, ist gar polysem angelegt. Die mimetische Abbildung bildet somit bloß einen kurzweiligen, anfänglichen visuellen Anker und verläuft alsbald im Leeren, dekontextualisiert und teilweise entsemantisiert im Wandel ästhetischer Transfiguration. Das Moment des Erkennens/Identifizierens erscheint auf diese Weise auf ein kommendes Wahrnehmungsereignis verschoben (Graydon), wenn nicht gar ausgehebelt (Sackl).

Beide Künstler geben auf den ersten Blick zu sehen, zu beobachten, wahrzunehmen, und doch verunsichern Im Freien und The Findings den Betrachter, da sich die Darstellungsobjekte als von der Wirklichkeit losgelöste und medial (um)kodierte Erscheinungsformen zu erkennen geben. Die Sichtbarkeit markiert dabei mehr eine Schnittstelle zur Wirklichkeit als ein Moment der Wiedergabe. Als sei die ästhetische und medienontologische Destabilisierung nicht genug, werfen beide Künstler den Betrachter letztlich auf sein eigenes Sehen als bildkonstitutives Agens zurück. Das Bild erscheint als Handlungsfläche des Blicks. Der Betrachter findet sich in einem nondirektionalen Wechselspiel von Wahrnehmung, medialer Chiffrierung und imaginärer Signifikation wieder.

David Komary