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Oktober – November 10

Text | engl. | Abbildungen



Künstler: Yudi Noor, Peter Sandbichler

Die Ausstellung preloaded key: colour konfrontiert zwei skulpturale Positionen, die eine ästhetische Gemeinsamkeit in der Verwendung und Inszenierung von Farbe haben. Die Medialität von Farbe spielt sowohl bei Yudi Noor als auch bei Peter Sandbichler eine konstitutive Rolle. Nicht die formale Analogie durch die Verwendung der Farbe Magenta, sondern die Spezifika und Differenzen des ontologischen Status von Farbe sowie ihre jeweiligen Semantisierungen bestimmen das Feld ästhetischer Interferenzen von preloaded key: colour. Wenn die Medialität von Farbe das verbindende Moment darstellt, so stellt sich bei beiden Künstlern einerseits die Frage nach dem Umgang mit Farbe in Beziehung zur Form, andererseits die nach der unterschiedlichen Performanz der Farbe in einem piktoralen Sinn. Beide Künstler bewegen sich im Spannungsverhältnis von Alltagsästhetik und dem Zeichensystem der Kunst. Angewandte Formen – Formen möglicher (Sandbichler) oder historischer Verwendung (Noor) – werden gezielt im Kontext der Kunst inszeniert, um ästhetische und semantische Verschiebungen zu provozieren. In diesen Übersetzungsprozessen von Gegenständlichkeit zu Zeichenhaftigkeit, von Ästhetik zu Semiotik wird die Frage nach den jeweiligen möglichen Gebrauchsformen und deren soziopolitischen und sozioästhetischen Implikationen virulent.
           
Yudi Noors Arbeiten handeln vom Transfer der Objekte, von Ankünften, vom Verbleiben, auch vom Verschwinden von Alltagsgegenständen. Doch führen seine ästhetischen Arrangements und Inszenierungen nicht in die Vergangenheit, zu den „Ursprüngen“ und Herkünften der Objekte, sondern untersuchen die wechselseitige Kontextualisierung von Gegenwart und Vergangenheit.(1) Noor reflektiert weniger die Geschichte der Gegenstände als vielmehr die Geschichte der politischen, ökonomischen und kulturellen Aneignung. Don't think twice it's a fake ist eine Inszenierung eines aus dem 18. Jahrhundert stammenden Torrahmens eines Wirtschaftsgebäudes des ehemaligen indonesischen Palastgebäudes in Yogyakarta. Das Gefüge aus ornamental verzierten, geschnitzten Holztafeln, die durch Balken zu einem Torrahmen verbunden sind, wird durch den signifikanten farblichen Eingriff Noors, durch die magentafarbene Übermalung des gesamten Rahmens, in eine profanisierte und entauratisierte Präsenz übergeführt. Die referentielle Bedeutung des Gegenstands erscheint verschoben, gar gebrochen.

Betrachtet man den Torrahmen unter architektonischen und skulpturalen Gesichtspunkten, so lässt er sich als Raumteiler und zugleich als mögliche Schwelle beschreiben. Das Tor figuriert jedoch weniger die Opposition von Innen/Außen als die von Hier und Dort, denn in seiner aktuellen Präsenz vermag es auf ein Anderswo, aber auch auf eine andere Zeit zu verweisen. Es bildet ein Dispositiv, das eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen vorstellbar macht. Jenseits dieser ersten, räumlich-skulpturalen Lesart wird der Torrahmen durch den farblichen Eingriff in zweifacher Weise ikonisiert. Einerseits überdeckt die Farbe das Darunterliegende, die organische Holzstruktur, löscht die Patina des historischen Objekts und macht es zum Bildträger. Andererseits, liest man die Übermalung grafisch-malerisch, wird der Torrahmen deutlich als Umriss eines Bildgevierts markiert. Die leere Mitte avanciert dabei zur Handlungsfläche des Blicks der BetrachterInnen, zur Folie möglicher Aufladungen und Projektionen. Obwohl faktisch Skulptur, erlangt die Arbeit auf diese Weise bildontologischen Status. Durch diese Ikonisierung erscheint das Tor semiotisch nun weniger als konkreter historischer Gegenstand, der auf einen bestimmten kulturgeschichtlichen Kontext verweist, sondern vielmehr als Simulakrum, als ikonisches Zeichen seiner selbst. Es wird als Chiffre eines Anderen lesbar, welche bei Noor im Prozess der Bildwerdung den eigenen zeichenhaften Status kritisch befragt und zur Diskussion stellt. Das leere Bildgeviert fungiert dabei als semantischer Platzhalter, steht exemplarisch für die Projektion eines Anderen, das als Bild codiert und damit kulturell verfügbar gemacht wird.

In diesem Dispositiv der Alterität, das den Betrachter auffordert, die eigene Sichtweise als piktorale Konstruktion, die auf kulturellen Übereinkünften basiert, kritisch zu befragen, erweist sich der eigene „unmittelbare“ Blick aufs Andere per se als mehrfach codiert. Yudi Noor versucht in der Zusammenführung und Verdichtung kulturell geformter Konnotations- und Sichtweisen jedoch nicht, sedimentierte oder verschüttete „Wahrheiten“ über das Objekt auszugraben, vielmehr macht er die Ideologien und das Bewusstsein lesbar, die jene konkurrierenden Wirklichkeiten konstruieren. In der Komplexität möglicher Referenzen und Aufladungen zeigt sich das Tor nunmehr als kulturell mehrfach codiertes Fragment ohne eindeutig bestimmbaren Ort und die Kategorie des Originals damit aufgelöst. Stattdessen wird das Tor als komplexes Zusammenspiel von visuellen Codes, Diskurs- und Machtstrukturen lesbar. Es repräsentiert keinen internen Zusammenhang mit der Vergangenheit, es erscheint vielmehr als Palimpsest widersprüchlicher Erzählungen, kultureller Aneignungen und Umschriften. Don't think twice it's a fake wäre dann die Aufforderung, statt dem Aberglauben vom vermeintlichen Original aufzusitzen, der kulturellen Mehrfachkodierung des Objekts nachzugehen, um nicht mehr nur die Darstellungsweise des Anderen, seine Repräsentation zu thematisieren, sondern die Aneignungsformen und Gebrauchsformen der Bilder des Anderen durch den Betrachter selbst auf Instrumentalisierungen und dahinterliegende Interessen und Ideologien hin zu befragen.

Während die farbliche Codierung bei Noor eine Übersetzung, einen Übergang vom Objekt- zum Zeichenstatus einleitet, um semiotische und sozioästhetische Implikationen des Gegenstands selbst lesbar zu machen, ist Farbe bei Peter Sandbichler non-referentielles und abstrakt-phänomenologisches Ereignis. Sandbichler untersucht jenen ästhetischen Möglichkeitsraum, in dem das Trägerobjekt von der Medialität der Farbe strukturell moduliert und transzendiert erscheint.

Die Wandarbeit ohne Titel basiert auf einem variablen modularen Formprinzip. Peter Sandbichler verbindet hyperbolisch-paraboloide Epoxidharzmodule innerhalb eines Wandgevierts zu einem Strukturgefüge, wobei die Flächenmaße der Einzelmodule proportional den Maßen des Geviertganzen entsprechen. Er ordnet die unterschiedlichen Module frei, jedoch nicht beliebig an. Dieses Prinzip der Aleatorik und Variabilität, eine Konstante in Sandbichlers ästhetischer Strategie, ist zugleich ein Angebot an den möglichen „User“. Die bildinterne ästhetische Ordnung wird zum Möglichkeitsraum freier Kombinatorik. Der Werkcharakter der komponierten, in sich geschlossenen Entität scheint durchlässig und veränderlich. Trotz der klaren Begrenzung des ästhetischen Handlungsfelds führt das Strukturgefüge zudem seine potentielle Erweiterbarkeit über die „Bildgrenzen“ hinaus vor. Das Geviert bildet den Ausschnitt eines Strukturkontinuums, eines imaginär fortsetzbaren Prinzips, das letztlich auf das „inkommensurable Unendlichkeitspotential des Raumes“ (2) selbst verweist.  

Aus der Anordnung der modularen Volumina ergibt sich eine regelmäßige Licht-/Schattenstruktur, die sich, aus einiger Distanz betrachtet, zu einer ikonischen Ebene verdichtet und nonrelationale Strukturen in Form repetitiver Pattern lesbar macht. Innerhalb des Gevierts verbinden sich gegenständlicher und bildlich-formaler Sinn. Die sich aus der Komposition der Farbflächen ableitenden Kontrastkräftefelder interferierten mit der vergleichsweise stabil wirkenden Licht-/ Schattenstruktur der räumlichen Module. Der ästhetische Schein beginnt sich von der Gestalt, die ihn hervorbringt, zu lösen. Das Strukturgefüge wirkt teilweise illuminiert, gar selbstleuchtend, doch ist der „Ort“ der Farben nur schwer zu bestimmen: Die einzelnen Farbfelder, fluoreszierendes Magenta, Orange und Rot, scheinen zu schweben. Die transzendente Farbwirkung von Sandbichlers Modulen resultiert aus dem Zusammenwirken von Transparenz und Fluoreszenz: Die Module, aus Polyester in Schichten aufgebaut und gegossen, sind aufgrund der eingegossenen Glasfasern lichtdurchlässig, den Ursprung der peripheren farblichen „Beleuchtung“ bildet die unter ihnen liegende, mit fluoreszierenden Farbfeldern überzogene Wand. Farbe bildet hier ein Phänomen, das den Objekten nicht anhaftet. In der Wandarbeit Sandbichlers wird die Immaterialität des Lichts wie auch der Farbe und Farbe selbst als formdurchdringendes, objekttranszendierendes Agens erfahrbar.         

Der ontologische Status der Farben bei Sandbichler ist unscharf. Sie changieren zwischen Sein und Schein, sind selbstevident, doch zugleich bildraumkonstitutiv. Mehr als bestimmbare Flächenwerte, scheinen sie auf räumliche Lagen, auf ein Davor und Dahinter zu verweisen. Es kommt zu einem Alternieren von vorderen und hinteren Bildraumlagen, einem Umschlagen von Nähe und Ferne. Aufgrund der strukturellen Interferenzphänomene der dynamischen Struktur der Farbfelder und der Struktur der Schattenformationen scheint die objekthafte Form sukzessive zu entgleiten, sich gar aufzulösen. Materialität und Immaterialiät, Präsenz und Erscheinen bilden in Sandbichlers Arbeit eine unauflösbare Verbindung. Der Wahrnehmungseindruck, das im Auge des Betrachters synthetisierte ästhetische Ereignis, und die empirischen Gegebenheiten generieren ein Spannungsfeld, das den Betrachter zur stetigen Überprüfung der eigenen Wahrnehmung herausfordert.

Bei Noor wie auch bei Sandbichler vermag die Farbe über den materiell-objekthaften Status des Trägerobjekts hinaus zu verweisen und den Objektstatus zu transzendieren. Während sie bei Noor semiotisierend wirkt, die kulturgeschichtliche Referenz des Trägerobjekts moduliert und eine intendierte Kontextverschiebung markiert, löst sie bei Sandbichler als dynamisierte, sich verselbständigende Bildraumlage das Trägerobjekt auf. Letztlich stellen beide Arbeiten weniger die Frage nach dem ontologischen Status, nach Bild oder Objekt, als vielmehr jene nach den Sehweisen, den semiotischen Zuschreibungen (Noor) und den Wahrnehmungs-modalitäten (Sandbichler). Jenseits der Idee von Selbstevidenz von Form und Farbe zielen beide Künstler auf ein Umschlagen der Wahrnehmung, auf den Bereich zwischen dem, was ist, und dem, was scheint.

 

David Komary




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Anmerkungen:

(1) Vgl. Linda Williams, Spiegel ohne Gedächtnisse, in: Eva Hohenberger, Judith Keilbach (Hg.), Die Gegenwart der Vergangenheit, Verlag Vorwerk 8: Berlin 2003, S. 34
(2) Max Imdahl, Raumplastik M. I., in: Heinz Liesbrock (Hg.), Die Unersetzbarkeit des Bildes, Düsseldorf: Richter 1996, S. 149.